Die Grünen als politikwissenschaftliches Studienobjekt

Seit ihrer Gründung im Jahr 1983 hat sich die Grüne Partei der Schweiz (GPS) von bescheidenen Anfängen zu einer potenziellen Bundesratspartei entwickelt. In einem diesen Sommer erschienenen Buch befassen sich 18 Politikwissenschaftler:innen mit der «Entwicklung und dem Wirken» der Schweizer Grünen.

Das Wachstum der Partei ist mehreren Faktoren geschuldet. Werner Seitz, zusammen mit Sarah Bütikofer Herausgeber des Bandes «Die Grünen in der Schweiz», macht dies in seinem Beitrag zur Geschichte der GPS von 1983 bis 2022 deutlich. Dazu gehört auch, dass im Laufe eines komplexen Prozesses unterschiedliche grüne und grün-alternative sowie Post-68er Strömungen unter dem Dach der GPS zusammenfanden. Diese profitierte angesichts wachsender Klima- und Umweltprobleme in letzter Zeit stark vom Image der «Umweltpartei».

Klar positioniert

Doch wie steht es nun mit der «Entwicklung und dem Wirken» der Partei im Einzelnen? Bei einem Sammelband, an dem 18 Autor:innen mitgewirkt haben, wird man kein Werk aus einem Guss erwarten. Das Buch ist denn auch mehr ein Mosaik, bei dem man einige Steine vermisst. Gewisse Fragenkomplexe lassen sich aber doch ausmachen. So widmen sich mehrere Beiträge unter unterschiedlichen Gesichtspunkten der Frage, wer denn die Grünen wählt. Pascal Sciarini und Adrien Petitpas befassen sich mit den Wähler:innen der Grünen und untersuchen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich mit der SP und den Grünliberalen. Madeleine Schneider untersucht das Stadt-Land-Verhältnis und die Rolle grosser Städte als Vorreiter:innen der grünen Wahlerfolge. Georg Lutz schliesslich wirft einen Blick auf die Entwicklung in den Sprachregionen. Dabei kommt er zum Schluss: «Trotz teilweise historisch etwas anderen Wurzeln sind in den Entwicklungen und der Positionierung der Grünen Partei in den verschiedenen Sprachregionen in den letzten Jahrzehnten nur sehr geringfügige Unterschiede festzumachen. Die GPS ist in allen Sprachregionen klar links positioniert, gut verankert und entwickelt sich in den drei Sprachregionen weitgehend gleichförmig.»

Institutionelle Politik und Bewegungen

Eine zweite Gruppe von Beiträgen untersucht, wie die Grünen Institutionen unseres politischen Systems nutzen. Daniel Schwarz analysiert das Stimmverhalten der Grünen im Parlament und die Allianzen, die sie dabei eingehen. Sarah Bütikofer richtet den Blick auf den nach dem Majorzverfahren gewählten Ständerat und auf die Vertretung der Grünen in der kleinen Kammer. Wie andere Parteien nutzen die Grünen auch das Instrumente der Volksinitiative und des Referendums. Dazu findet sich im Buch eine Untersuchung von Lucas Leemann und Angela Odermatt.

Weitere Beiträge befassen sich mit dem Verhältnis der Grünen zu verschiedenen Bewegungen, angefangen bei der Anti-AKW-Bewegung der 70er-Jahre bis zum Klimastreik von heute. Monika Gisler beleuchtet das Verhältnis zwischen der Umweltbewegung und den Grünen, Andrea Schweizer jenes zwischen GSoA/Friedensbewegung auf der einen und der GPS auf der anderen Seite und Gesine Fuchs nimmt den grünen «Feminismus als Teil der politischen DNA der Grünen» unter die Lupe.

Blinde Flecken

Zu den Themen, die im Buch nicht abgedeckt werden, gehört erstaunlicherweise auch die Europapolitik. Hier haben die Grünen, die 1992 noch die Nein-Parole zum EWR fassten, einen langen Weg zurückgelegt. Neuerdings sprechen sie sich für eine enge Zusammenarbeit mit der EU aus. Ebenfalls nicht näher untersucht werden die bildungspolitischen Positionen, möglicherweise, weil Bildungspolitik nicht zu den grünen «Kernthemen» gezählt wird.

Im politischen Auftritt einer Partei spielt das Visuelle eine immer grössere Rolle. Diesem wird im Buch keine weitere Beachtung geschenkt. Das geht sogar so weit, dass – aus welchen Gründen auch immer – auf Fotos verzichtet wurde. Das ist schade, weil anhand von Bildmaterial auch manches zur Entwicklung der Grünen hätte aufgezeigt werden können.

Nicht recht einsichtig bleibt dem Rezensenten schliesslich die Verwendung des Begriffs «Parteibasis» im Beitrag «Politische Position von Parteibasis und Parteiführung der ökologischen Parteien GPS und GLP» von Isabelle Stadelmann-Steffen und Karin Ingold. Während üblicherweise unter der Parteibasis die Mitglieder einer Partei ohne Führungsposition oder spezielles Mandat verstanden wird, zählen die beiden Wissenschaftlerinnen die entsprechenden Wähler:innen gleich zur Basis dazu. Die Parteiführung plus Mandatsträger:innen und/oder Kandidierende werden in dieser Optik zur (Partei-)Elite. Bei einem solchen Modell erübrigt sich dann auch die Frage, ob und wie die Mitglieder an der Parteibasis das politische Programm und die politischen Positionen der Partei mitbestimmen (können).  

 

Sarah Bütikofer, Werner Seitz (Hrsg.): Die Grünen in der Schweiz. Seismo Verlag 2023. 38 Franken

Auszug erschienen im Grünwärts Nr. 34, September 2023.