
Das Stromgesetz und die Biodiversitätskrise
Ein Ja zum Stromgesetz muss auch Ja zu einem haushälterischen Umgang mit der Natur sein.
Eine sichere Stromversorgung durch vermehrt erneuerbare Energien, selbst im Winter – das versprechen sich viele vom neuen Stromgesetz. Dieses soll
gleichzeitig einer zukünftigen Strommangellage und der rasant fortschreitenden Klimakrise entgegenwirken.
Die Wahrscheinlichkeit für einen Stromengpass ist zum Glück sehr gering. Auch bei einem heftigen Blackout würde sich die Schweiz in wenigen Jahren davon erholen. Ein überstürztes Handeln kann jedoch eine ganz andere Krise verstärken. Eine, in der wir uns mit einer 100%-igen Wahrscheinlichkeit bereits befinden – die Biodiversitätskrise. Die Zerstörung von Lebensräumen für den Neubau von Strukturen zur Gewinnung erneuerbarer Energie gefährdet die ohnehin stark bedrängte Biodiversität.
Stirbt eine Tier- und Pflanzenart ganz aus, ist dies irreversibel. Es können Jahrtausende vergehen, bis eine neue Art entsteht, welche dieselbe ökologische
Nische nutzt und ähnliche Funktionen erfüllt. Lösungen für unseren Stromhunger und die Klimakrise dürfen die Biodiversitätskrise nicht weiter befeuern
– und das müssen sie auch nicht. Während der Neu- und Ausbau von Wasserkraftwerken schweizweit zu 1–3 TWh zusätzlicher elektrischer Energie pro Jahr führt und mit drastischen Eingriffen in die Natur verbunden ist, kommt eine andere erneuerbare Energie auf ganze 82 TWh pro Jahr, ganz ohne Lebensraumverlust: Die Photovoltaik auf bereits bestehender Infrastruktur. Allein die Aufrüstung von Dächern mit Photovoltaikanlagen kann konservativ geschätzt zu 40 TWh jährlich führen und damit den geschätzten Mehrverbrauch der Schweiz im Jahre 2050 praktisch komplett abdecken.
Wir benötigen also keine neuen Wasserkraftwerke in unseren ohnehin schon stark bedrängten Gewässern und es müssen auch keine neuen Flächen für Wind- und Solarkraftnutzung versiegelt werden. Wenn das Stromgesetz der Trittstein für eine nachhaltigere Schweiz sein soll, dann muss dazu auch der nachhaltige Umgang mit unserer Natur gehören – die Möglichkeiten dazu haben wir und damit liegt die Entscheidung bei uns — oder wie es Tim Jackson so schön sagt: «Ein gutes Leben muss nicht die Erde kosten».
Artikel erschienen im Grünwärts Nr. 37, Mai 2024
Thomas Fabbro und Constantin Kortmann, Pro Natura Baselland