Im Verlauf des Jahres hat sich der Kulturbetrieb vordergründig wieder normalisiert. Viele Kulturschaffende stehen aber vor grossen Schwierigkeiten.
Die Theater spielen wieder, die Konzerte klingen und die Menschen tanzen in den Clubs wieder bis spät in die Nacht. Auf den ersten Blick sieht es so aus, die Pandemiekrise in der Kultur sei überwunden. Schauen wir aber genauer hin, zeigen sich unzählige Kluften, die darauf hinweisen, dass die Krise in der Kultur noch lange nicht vorbei ist. Betreibende von Veranstaltungslokalen erzählten mir vor einem Jahr weinend und mittlerweile erstaunlich trocken, dass all ihre Reserven aufgebraucht sind. Dass da nichts mehr kommen darf, ohne dass es ihnen das Lokal unter den Füssen wegschwemmen wird. Die Künstler*innen berichten vom Gefühl, endlich wieder auf einer Bühne zu stehen, aber auch vom Druck, alles hin- und annehmen zu müssen, egal wie schlecht sie dabei am Ende dastehen. Die Unsicherheit ist spürbar, aber das darf uns nicht überraschen.
Auf den Schultern der Kulturschaffenden wurden nicht nur die leichten Lockdowns ausgetragen, sondern werden nun auch die neuen Massnahmen durchgesetzt. Die Zertifikate sind ein Segen und doch sind die Konsequenzen für die Kulturbranche bedenklich. Kultur muss für alle zugänglich sein. Als OK-Mitglied des Jugendkultur-
festival habe ich selbst erlebt wie schwierig es ist, freizugängliche Kultur zu kontrollieren und einzugrenzen. Für ein falsches Zertifikat kann eine Veranstalter*in bis zu 10’000 Franken Busse erhalten. Und die Kosten für das notwendige Security Personal und die Testmöglichkeiten müssen ebenfalls von den Veranstaltungsbetrieben oder den Künstler*innen getragen werden. Die Grossen in der Branche werden sich dies leisten können, für die Kleinen aber bleibt die Aussicht düster. Der Graben wird aufgehen. Feine Klänge der Kultur werden leiser und der Zugang zu neuen Kulturerlebnissen wird noch komplexer.
Richten wir den Blick in andere Länder, ist die Krise noch lange nicht vorbei. Es wird über neue Schutzkonzepte diskutiert. Alles ist im Umbruch. Und die Kulturszene kämpft trotzdem wacker weiter.
Die Kultur braucht nach dieser langen und beängstigenden Existenzkrise Planungssicherheit und finanzielle Unterstützung. Ein wichtiger Schritt ist dabei die die geplante Anpassung des Kulturfördergesetzes, die eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung für Alternativ- und Jugendkultur bringt. Wir brauchen die Kultur und die Kultur braucht uns. Denn während mir bei dem ersten realen Bücherkauf nach dem Lockdown kaum was komisch vorkam, hab ich am ersten Live-Konzert geweint.
Erschienen im Grünwärts Nr. 27, Oktober 2021.