Die Bilateralen Verträge mit der EU erodieren weiter – trotz angeblichen Verhandlungsfortschritten. Jetzt sind mutige, proaktive und proeuropäische
Schritte zwingend. Obwohl – oder gerade weil – der Wahlkampf für die Bundeswahlen 2023 längst begonnen hat, spürt man seitens der Bundesratsparteien wenig Interesse, die Baustelle EU-Politik anzupacken. Die einzigen, die ihre Verantwortung wahrnehmen und die sich richtig ins Zeug legen, sind die GRÜNEN. Dies war 2022 so und das wird 2023 erst recht der Fall sein.

Hiobsbotschaften statt „begrüssenswerte Fortschritte“

Zwei Meldungen vom Ende 22 zeigen, wie widersprüchlich und verfahren die Situation ist. Am 23. November 2022 hat der Bundesrat eine Aussprache über die Beziehungen der Schweiz mit der EU geführt und dabei von begrüssenswerten Fortschritten gesprochen. Das ist erfreulich – für den Start von formellen Gesprächen fehlte dem Bundesrat dann aber doch der Mut. Am 14. Dezember 2022 vermeldete das Seco, dass die EU die Aktualisierung des Abkommens im Bereich der Medizinprodukte weiterhin ablehne. Das sind schlechte Nachrichten für die Medizinproduktehersteller – auch wenn sie nach dem einseitigen Verhandlungsabbruch leider selbstverschuldet sind (wie übrigens auch der Ausschluss der Schweiz von den europäischen Forschungs-, Bildungs- und Kulturprogrammen). Ich habe gegen diese Entwicklung im Nationalrat interveniert. Die Antwort des Bundesrates war – wie immer – nichtssagend. Ohne Klärung der institutionellen Fragen werden wir diese Probleme aber sowieso nicht lösen können.

Grüne gestalten Europapolitik

«Wir GRÜNE sind eine europäische Partei. Als Mitglied der European GreenParty (EGP) setzen wir uns für ein friedliches, ökologisches und soziales
Europa mit starken Grundrechten ein.» Diese Aussagen sind keine Lippenbekenntnisse, sondern gelebte Wirklichkeit. Drei Hauptstossrichtungen prägten
das vergangene Jahr:

  • Eine Resolution vom Januar 2022: Es ist Zeit für den europapolitischen Befreiungsschlag
  • Vorstösse der GRÜNEN im Parlament und in den Kommissionen
  • Aktive Unterstützung der Europa-Initiative als einzige Partei der Schweiz.

Das Gelingen der Europa-Initiative im 2023 wird entscheidend sein. Denn unser Ziel ist klar: Wir – die Europa-Allianz – treten an, um die Europapolitik zu
deblockieren. Wir treten an, um die Scherben aufzuräumen, die der Bundesrat mit dem einseitigen Verhandlungsabbruch für ein Rahmenabkommen
verursacht hat. Deshalb mein Appell an alle, denen gute Beziehungen zur EU am Herzen liegen: Unterstützt diese Initiative. Nicht die Isolationist*innen dürfen die Nase vorne haben, sondern wir GRÜNE im Verbund mit allen fortschrittlichen und proeuropäischen Kräften.

Text erschienen im Grünwärts Nr. 32, Februar 2023

Sibel Arslan

Nationalrätin, Vizepräsidentin GRÜNE Schweiz, Mitglied der APK Nationalrat

Wie die EU-Zusammenarbeit aktuell aufgegleist ist

2000 wurden sieben bilaterale Abkommen von den Stimmberechtigten angenommen. Dies sind: Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen, Forschung und Landwirtschaft. Speziell ist zudem das Abkommen über technische Handelshemmnisse. Dieses Abkommen muss immer wieder aufdatiert werden: Wenn sich also eine Regelung ändert, braucht es für die Anerkennung jeweils eine Anpassung der betreffenden EU-Verordnung. Wird das Abkommen nicht erneuert, ist der wichtige Export in die EU (siehe Grünwärts Nr. 22) nur erschwert möglich. Betroffen davon sind Produkte von Maschinen über Spielzeuge bis hin zu Explosivstoffen.

2004 folgte das zweite Bilaterale Paket, dieses regelte: Schengen/Dublin, autom. Informationsaustausch, Betrugsbekämpfung, landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, Umwelt, Statistik, Kreatives Europa, Ruhegehälter und Bildung. Zudem wurden noch weitere Abkommen zu folgenden Themen geschlossen: Europol (2004), Eurojust (2008), Europäische Verteidigungsagentur (2012), Wettbewerbsbehörden (2013), Satellitennavigation (2013), Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen ( 2014), Polizeikooperation (2019).

Europapolitische Optionen

Die EU sah die Bilateralen Verträge als Ausgangspunkt für eine Integration, die Schweiz nicht. Deswegen wurde nach Rückzug des Beitrittsgesuchs 2016 ein Rahmenabkommen verhandelt, das scheiterte. Die EU ist nicht gewillt, neue Abkommen zu verhandeln oder die alten zu erneuern. Folgende Optionen hat die Schweiz:

  1. Neues institutionelles Rahmenabkommen: Dieses würde die Probleme lösen. Der Knackpunkt: Zurzeit ist die Schweiz z.B. nicht gewillt, ein EU-Schiedsgericht anzuerkennen.
  2. EWR-Beitritt: Dadurch wäre die Zusammenarbeit klar geregelt. Jedoch sind die Bedingungen bezüglich Themen und Teilhabe schlechter als bei einem institutionellen Abkommen.
  3. EU-Beitritt: Im Prinzip die beste Lösung bezüglich Souveränität (volle Mitbestimmung, Ausnahme-Bestimmungen, etc.). Mit der Einreichung eines
    Beitrittsgesuchs wäre wohl für die Zwischenzeit auch ein neues institutionelles Rahmenbkommen möglich.
  4. Freihandelsabkommen: Diese Variante wäre vergleichbar mit der britischen Lösung und würde einzig die Handelsbeziehungen regeln.