Die Repression gegenüber politischen Demonstrationen durch die Basler Polizei hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Um Sachbeschädigungen und nicht bewilligte Demonstrationen zu verhindern, kommt es zu immer massiveren und rigoroseren Polizeieinsätzen. Alle paar Monate streitet dann die ganze Stadt über die Verhältnismässigkeit des Einsatzes von Polizeigewalt gegenüber Demonstrierenden und ob der Einsatz im öffentlichen Interesse war.

Der Polizeieinsatz am 1. Mai 2023 stellt nun nochmals ein neues Ausmass an präventiv eingesetzter Polizeigewalt dar. Während auf linker Seite Bestürzung und Besorgnis herrscht angesichts einer «enthemmten Polizei», die die bewilligte, bis zu diesem Zeitpunkt völlig gewaltlose 1. Mai-Kundgebung «stürmt» und «Arbeiter:innen und Familien mit Reizgas eindeckt» (WOZ, 04.05.2023), zeigt man sich im bürgerlichen und rechten Lager zufrieden mit dieser «nie gekannten Kompromisslosigkeit», mit der die Basler Polizei «jegliche Form von Krawall im Keim erstickte» (BaZ, 06.05.2023). Dass aufgrund dieses Einsatzes zahlreiche Teilnehmer:innen mit Reizgas-Verletzungen behandelt werden mussten, wird im BaZ-Leitartikel als nicht weiter wichtige «Randnotiz» deklariert.

Aus Sicht der Interpellantin ist klar, dass Verletzungen von Menschen nie Randnotizen sein dürfen und dass jeder Einsatz von Gewalt hinterfragt und aufgearbeitet werden muss. Der Polizeieinsatz vom 1. Mai, der gemäss der vor Ort zur Beobachtung anwesenden demokratischen Jurist*innen «ein beispielloser Angriff auf die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit» (DJS, 02.05.23) darstellt, muss dringend untersucht werden.

Die Interpellantin bittet die Regierung deshalb um die Beantwortung folgender Fragen:

  1. Die Polizei gibt an, dass der vordere Teil der Demonstration deshalb eingekesselt und einer Personenkontrolle unterzogen wurde, weil einige Personen vermummt waren und Schutzmaterial (z.B. ein verstärktes Transparent) bei sich trugen.
    1. Lässt sich daraus bereits eine «Gewaltbereitschaft» von Demonstrierenden ableiten und wenn ja, welche Formen von Gewaltausübung durch die Demonstrierenden wurde von Seiten der Polizei angenommen?
    2. Wie vielen der eingekesselten und kontrollierten Personen konnte effektiv Gewaltbereitschaft nachgewiesen werden und anhand von was?
    3. Wenn gefährdendes Material sichergestellt wurde, welches und wie viel?
  2. Welche ganz konkreten Gefahren wurden ausgehend von der bewilligten 1. Mai Kundgebung angenommen und überwog das angenommene Bedrohungsszenario die entstandenen Kosten und Schäden durch den Einsatz? Hätten diesen angenommenen Gefahren mit anderen Massnahmen begegnet werden können? Wenn ja, mit welchen?
  3. Der gesamte vordere Teil des Demonstrationszuges, davon ein grosser Teil Personen, die nicht vermummt waren, wurde während mehreren Stunden eingekesselt. Wie lange ging es genau, bis die ersten Personen den Kessel verlassen konnten? Wie lange, bis die letzten den Kessel verlassen konnten, welche bereit waren, sich der Personenkontrolle zu unterziehen?
    1. Wie wird die stundenlange Einkesselung legitimiert?
    2. Wie ist es zu rechtfertigen, dass Erziehungsberechtigte ihre Kinder nicht aus dem Kessel begleiten durften?
    3. Wenn die präventive Einkesselung vor der Demonstration geplant war, warum wurden dann nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen, um unbeteiligte, Kinder, Familien rasch aus dem Kessel entlassen zu können?
    4. Wie ist es zu rechtfertigen, dass die eingekesselten Personen nicht auf die Toilette durften?
    5. Wie stellt sich die Regierung zur Frage, ob es sich bei dieser Einkesselung bereits um Freiheitsentziehung handelt?
  4. Rechtfertigt alleine die Anwesenheit von einigen vermummten Personen die Einkesselung und Kontrolle mehrerer hundert nicht vermummter Personen sowie den Einsatz von Reizgas und Gummischrot? Hätte es auch andere Massnahmen gegeben, um gegen die Vermummten vorzugehen?
  5. Welches konkrete Verhalten von Seiten der Demonstrierenden rechtfertigte den Einsatz von physischer Gewalt, Pfefferspray, Tränengas und Gummischrot gegen eine eingekesselte Menschenmenge? Was ist tatsächlich vorgefallen und wie wird dieser Mitteleinsatz im Nachhinein eingeschätzt?
  6. Gemäss Fotos kam es offenbar auch zum Einsatz eines Messers (Leathermanklinge) im Gedränge. Weshalb musste das Transparent im Gedränge mit einem Messer zerschnitten werden?
    1. Welches öffentliche Interesse lag an der Aneignung und Zerschneidung des Transparents?
    2. Wieso wurde falsch informiert, indem kommuniziert wurde, es sei kein Messer, sondern ein Gurtschneider gewesen?
  7. Von wie vielen Verletzten hat die Polizei Kenntnis? Falls sie Kenntnis von Verletzten hat, wie kommt Regierungsrätin Eymann zur Einschätzung, dass Gewalt am 1. Mai verhindert werden konnte?
    1. Warum bestand trotz des umfassenden Einsatzkonzepts und des geplanten Mitteleinsatzes nicht von Anfang an ein Zugang zu Sanität und medizinischer Versorgung?
    2. Weshalb verweigerte die Kantonspolizei einer bedürftigen Person die erste Hilfe, obwohl diese dringend angefordert wurde und die betroffene Person transportunfähig war?

Zum Geschäft