
Interpellation: besserer Schutz von Sans-Papiers vor häuslicher Gewalt
Das Ausmass der häuslichen, sexualisierten und geschlechtsspezifischen Gewalt ist ein riesiges gesellschaftliches Problem, das in der Schweiz ebenso wie in anderen Ländern nach wie vor zu wenig anerkannt und systematisch bekämpft wird – trotz jahrzehntelanger feministischer Kritik und politischen Vorstössen dazu. Wie die Kriminalstatistik 2024 zeigt, haben die erfassten Fälle von häuslicher Gewalt und Sexualdelikten erneut massiv zugenommen. Ob diese Zunahme auf einen Anstieg von Fällen oder aber auf eine grössere Bereitschaft, Fälle zur Anzeige zu bringen, zurückzuführen ist, lässt sich nicht beantworten. Aufgrund der sehr hohen Dunkelziffer ist letztlich nicht bekannt, wie gross das Ausmass der häuslichen Gewalt tatsächlich ist.
2024 wurde in Basel-Stadt fast jede Woche eine Vergewaltigung angezeigt (BaZ, 26.3.25), wobei mehr als drei Viertel aller Vergewaltigungen im häuslichen Bereich des Opfers stattfinden (bz, 26.3.25). Häusliche Gewalt kann dabei eine Vorstufe der äussersten Form geschlechtsspezifischer Gewalt, dem Femizid, sein, also der Tötung von Frauen und Mädchen – oft durch ihre Ehemänner, Partner oder Ex-Partner oder andere männliche Angehörige. Alle zwei Wochen wird eine Frau getötet, jede Woche überlebt eine Frau einen versuchten Femizid[1].
Im Jahr 2025 wurden in der Schweiz bereits 12 (!) Femizide begangen – einer davon ereignete sich im Februar in der Region Basel. Ein 70-jähriger Mann hat seine Partnerin (33) mit vier Schüssen getötet und anschliessend sich selbst. Überlebt hat nur das Kleinkind des Paares. Das Verfahren wurde aufgrund des Tods des Täters eingestellt (BaZ, 20.2.25). Kurz darauf riefen die Sans-Papiers-Kollektive Basel zu einer öffentlichen Gedenk-Veranstaltung für das Opfer A. auf. A. gehörte einem der Kollektive an. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde bekannt, dass A. schon länger von häuslicher Gewalt betroffen gewesen war, diese Gewalt als Sans-Papiers aber nicht zur Anzeige bringen konnte.
Angesichts dieses Falls von A., der ein kleines Licht in die Dunkelziffer im Bereich der häuslichen Gewalt wirft und die darin explizit grosse Vulnerabilität von Sans-Papiers Frauen aufzeigt, die aufgrund der rechtlichen Schutzlosigkeit bis hin zu ihrer Tötung führen kann, bittet die Interpellantin den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:
- Wie sorgt der Kanton dafür, dass Opfer von häuslicher Gewalt diese als solche erkennen und Unterstützung aufsuchen?
- Welche Möglichkeiten haben Sans-Papiers in Basel-Stadt, gegen Gewalt durch ihren Partner (oder ihre Partnerin) vorzugehen?
- Zu welchen Schutzmassnahmen haben betroffene Sans-Papiers Zugang, ohne sich selbst ausländerrechtlichen Konsequenzen auszusetzen?
- Wohin können sich Sans-Papiers Frauen wenden, um Schutz vor häuslicher Gewalt zu erhalten?
- Was unternimmt der Kanton, damit Sans-Papiers Frauen nach einem Aufenthalt im Frauenhaus nicht in die gewalttätige Beziehung zurückkehren müssen?
- Welche Orte und Institutionen können Sans-Papiers Frauen dabei unterstützen, sich aus der Abhängigkeit von ihrem Partner zu lösen und eine Existenz ohne ihn aufzubauen?
- Wie wird sichergestellt, dass Sans-Papiers, die Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt wurden, Zugang haben zu professioneller Beratung (insb. rechtlich und psychologisch)?
- Kann die Gewalt gegen Sans-Papiers irgendwie bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden, ohne dass dies ausländerrechtliche Konsequenzen für die Betroffenen hätte? Wie müssen die Betroffenen vorgehen?
- Falls die Gewalt nicht angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden kann, wie könnte dies geändert werden?
- Haben Opfer von häuslicher Gewalt in der bestehenden Härtefallregelung Aussicht auf eine Regularisierung? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wenn nein, welche Möglichkeiten sieht der Regierungsrat, um dies zu ändern?
- Wäre eine kantonale Härtefallregelung ähnlich des AIG Art. 50 auch für gewaltbetroffene Sans Papiers umsetzbar?
- Welche Unterstützung ist für Kinder von Sans-Papiers Frauen vorgesehen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind?
- Gibt es präventive Angebote für Tatpersonen, die Sans-Papiers sind?
- Welche Lücken im Schutz von Sans-Papiers Frauen vor häuslicher Gewalt sieht der Regierungsrat?
- Wie können diese Lücken geschlossen werden, damit auch Sans-Papiers Frauen, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus besonders abhängig sein können von ihrem Partner und damit besonders vulnerabel sind, vor häuslicher Gewalt geschützt werden?
- Welche Massnahmen ist der Regierungsrat konkret bereit zu prüfen, damit der Schutz von Sans-Papiers vor Gewalt verbessert werden und Leben gerettet werden können?
[1] Vgl. dafür das Rechercheprojekt Stop Femizid (https://www.stopfemizid.ch/)
