In den letzten rund zehn Jahren konnten durch zahlreiche Pilotversuche mit wissenschaftlicher Begleitung umfassende Erkenntnisse zu Tempo 30 im Siedlungsgebiet gewonnen werden. Gleichzeitig haben Gerichte wiederholt wegweisende und gut begründete Entscheide zu Gunsten von Tempo 30, gerade auch auf Hauptstrassen, gefällt. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine integrale – sprich flächendeckend und rund um die Uhr geltende – Signalisation von Tempo 30 im Siedlungsgebiet entscheidende volkswirtschaftliche Vorteile hat, dass ein solches Konzept umsetzbar ist und im Alltag funktioniert. Die Gründe sind vielseitig:

  • Lärm: Seit den 1980er Jahren sind die Kantone in der Pflicht, die Grenzwerte einzuhalten mit Frist Frühling 2018. Im Kanton Basel-Stadt wohnen dennoch auch heute gegen 40’000 Personen an Standorten, an denen der gesetzliche Grenzwert zu Strassenlärm überschritten wird. Tempo 30 ist schneller, billiger und wirksamer
    Lärmschutz: Eine Reduktion von 50 auf 30 km/h reduziert den Lärm um drei Dezibel; das entspricht circa der Lärmwahrnehmung bei einer Halbierung der Verkehrsmenge (Quelle: BAFU).
  • Verkehrssicherheit: Gemäss den Expert*innen der unabhängigen BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) könnte mit generell Tempo 30 im Siedlungsgebiet jedes zweite Unfallopfer auf Schweizer Strassen verhindert werden (Quelle: BFU). Im Kanton Basel-
    Stadt kam es in den letzten Jahren zu circa 800 Verkehrsunfällen und 400 Verunfallten pro Jahr. Am meisten würden Fussgängerinnen und Fussgänger profitieren.
  • Verkehrsfluss und Verkehrskultur: Gerade im Siedlungsgebiet mit seinen häufigen Kreuzungen, Fussgänger*innenübergängen und ÖV-Haltestellen verstetigt und verflüssigt Tempo 30 den Verkehrsfluss und reduziert insgesamt die Wartezeiten für alle. Die tiefere Durchschnittsgeschwindigkeit lässt mehr Zeit für Blickkontakt unter den Verkehrsteilnehmenden und somit zu einer rücksichtsvolleren Koexistenz. Das bestätigt auch das Merkblatt zu Tempo 30 der SVI (Quelle: Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten (SVI)).
  • Luft und Klima: Wichtigster Verursacher von Luftschadstoffen ist der Verkehr. In vielen Basler Quartieren ist ein erheblicher Anteil der Bevölkerung von Grenzwertüberschreitungen betroffen. Der Regierungsrat hielt in seinem Schreiben zum letzten bikantonalen Luftreinhalteplan fest, dass bei keinem der Schadstoffe die Grenzwerte bis 2020 eingehalten werden können (S.6, https://www.grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200108631). Tempo 30 führt durch die Verflüssigung des Verkehrs (s.o.) zu weniger Luftschadstoffen und auch das Klima profitiert, weil damit weniger Treibstoff verbraucht wird.
  • Flächeneffizienz: Bei Tempo 30 können Fahrbahnen circa 70 cm schmaler ausgestaltet werden als bei Tempo 50. Rund 30 Prozent der Stadt Basel sind Verkehrsfläche. Der öffentliche Raum in Basel ist begrenzt und umkämpft. Die Wahrscheinlichkeit von genügend Platz für Bäume, Boulevardnutzung usw. steigt durch die Temporeduktion. Gegenüber integralem Tempo 30 bestehen zum Teil Befürchtungen: Zunahme von Ausweichverkehr und Nachteile für den öffentlichen Verkehr. Die Pilotversuche in anderen Städten und Gemeinden zeigen, dass diesen gut begegnet werden kann.
  • Ausweichverkehr: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die gesetzliche Pflicht gemäss USG §13 Abs. 5 lit. b den motorisieren Individualverkehr zu kanalisieren weiterhin besteht. Das bereits erwähnte Merkblatt des SVI hält mit Blick auf die zahlreichen Pilotversuche in Schweizer Städten fest: «Es ist kein dokumentierter Fall bekannt, bei
    dem aufgrund einer Reduktion von T50 auf T30 auf einer HVS [Hauptverkehrsstrasse] unerwünschter Ausweichverkehr in die Quartiere aufgetreten ist.» (Quelle: SVI, S. 3). Dies wird durch eine kluge Signalisation beispielsweise von Einbahnstrassen auf untergeordneten Strassen oder auch bauliche Massnahmen erreicht.
  • Nachteile für den öffentlichen Verkehr: Sofern der ÖV nicht über ein eigenes Trassee verfügt, müsste auch er sich an Tempo 30 halten. Bereits heute fährt auch er auf vielen Strecken mit Tempo 50-Signalisation unter 30 km/h auf Grund von Haltestellen und Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Die durchschnittliche
    Beförderungsgeschwindigkeit des ÖV in Basel liegt zwischen 14 und 20 km/h (Durchschnittliche Beförderungsgeschwindigkeit auf den BVB-Tram- und -Buslinien von Endstation zu Endstation, ohne Linie 50). Ohne flankierende Massnahmen würde Tempo 30 zu einer Verlangsamung führen, was die Attraktivität des ÖVs mindert und Mehrkosten zur Folge hat. Basierend auf groben Auswertungen in der Stadt Zürich können allfällige Fahrzeitverluste im ÖV wegen Tempo 30 im Grundsatz kompensiert werden, indem der ÖV weiter priorisiert würde [Gemäss VBZ fallen bei flächendeckend Tempo 30 jährlich zusätzliche Betriebskosten von 17 Mio. und einmalig Investitionskosten von 75 Mio. an (Quelle: Gemeinderat Zürich, Antwort zu Frage 2). Gemäss Stadtrat Zürich fallen wegen Behinderung und Eigenbehinderung des ÖV durch den MIV jährlich Kosten von 21,5 Mio. und einmalige Investitionskosten von 138 Mio. an (Quelle: Gemeinderat Zürich, Antwort zu Frage 4). Zum Begriff ÖV-
    Eigenbehinderung: «Eigenbehinderungen entstehen beispielsweise aus Unregelmässigkeiten im Takt einer Linie, die wiederum durch Behinderungen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) ausgelöst wurden.» (Quelle: Gemeinderat Zürich, Antwort zu Fragen 1 und 2)]. Das wäre in Basel ohnehin seit Jahren verbindlicher Auftrag: §30 der Kantonsverfassung räumt dem ÖV Vorrang ein. Dieser Grundsatz ist in mehreren Gesetzen des Kantons weiter ausgeführt und damit unmittelbar anwendbar und behördenverbindlich. Er wird heute jedoch tagtäglich verletzt, denn fast alle Linien sind in irgendeiner Art von Behinderungen durch den MIV betroffen. Darum ist gleichzeitig ein Massnahmenplan zur Priorisierung und Beschleunigung des ÖV auszuarbeiten. Massnahmen können sein: frühzeitige, d. h. tatsächlich zeitverlustfreie,Anmeldung und Fahrt des ÖV bei Lichtsignalanlagen bzw. Nachrüstung bisher ungeregelter Knoten, bauliche oder verkehrstechnische Massnahmen (z. Bsp. elektronische Busspuren, Fahrbahnhaltestellen), Realisierung zusätzlicher Eigentrasses für Tram und Bus, insbes ndere auf kritischen Streckenabschnitten, Parkierung usw.

Die Motionär*innen halten den Regierungsrat dazu an, binnen zweier Jahre parallel ein Umsetzungskonzept zur Einführung von integral Tempo 30 im Siedlungsgebiet sowie einen umfassenden Massnahmenplan zur tatsächlichen Priorisierung und Beschleunigung des ÖV auszuarbeiten.
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