
Rede des jüngsten Ratsmitglieds des Grossen Rats
Rede von Fina Girard anlässlich der Eröffnung der 45. Legislaturperiode des Grossen Rats Basel-Stadt.
Sehr geehrte Regierungsrätinnen und Regierungsräte, sehr geehrter Herr Gerichtspräsident – liebe Grossrätinnen und liebe Grossräte, ganz besonders diejenigen unter euch, die heute zum ersten Mal hier Platz nehmen dürfen – liebe alle, die heute hier im Rathaus sind und gemeinsam den Beginn der 45. Legislaturperiode feiern
Die Fenster des Grossratssaals eröffnen den Blick auf einen Innenhof – einen Innenhof, von dem die meisten in dieser Stadt wohl gar nicht wissen, dass er existiert. Manchmal flattern Tauben, oder es lässt sich eine spontan einberufene Sitzung zwischen Grossrätinnen beobachten. Nur der Turm der Martinskirche erinnert uns daran, dass wir ja mitten in der Stadt Basel sind – und dass die Entscheidungen, die wir fällen, diesen kleinen, so vielfältigen Kanton betreffen – Der vielfältiger ist, als dieser unscheinbare Innenhof es uns glauben lässt.
Basel, das denke ich immer, wenn ich über die Dreirosenbrücke gehe – ist auf seine Weise auch ein Fenster – ein Fenster nach Europa, ein Fenster in die Welt. Unsere Geschichte ist eng verflochten mit den Handelswegen Europas und der Welt, unser Wohlstand ist es ebenso – und wenn sich in der Welt etwas rückt, dann spüren wir das auch bei uns.
(Erich Bucher hat in seiner Rede zurückgeblickt auf 50 Jahre technischen Aufschwung – eine Betrachtung der Vergangenheit, die mir einmal mehr aufzeigt, dass ich als junge Frau heute ein anderes Lebensgefühl vermittelt bekomme. Aufwärts, schneller, besser, weiter, Wachstum – diese Prognose stockt und stottert, die exponentielle Kurve des Fortschritts geht nicht mehr auf, spiegelt sich stattdessen in der genauso exponentiellen Kurve der Klimaerhitzung, in gesellschaftlichen Spaltungen, Populismus und Nationalismus.)
Ich bin wohl nicht alleine damit, wenn ich sage, es fällt mir im Moment oft schwer, das Radio aufzudrehen, oder die Zeitungen aufzuschlagen. An vielen Orten drohen die demokratischen Grundwerte zu entgleiten und deren Institution unterwandert zu werden, und das macht mir sehr grosse Sorgen.
Oft sagen mir ältere Semester, auch sie hätten sich grosse Sorgen gemacht um die Zukunft, als sie jung waren – und doch sei am Ende alles gut herausgekommen.
Das Ozonloch hätte man wieder gestopft (wenn auch nicht ganz), der eiserne Vorhang sei gefallen, aus Autokratien seien Demokratien entsprungen.
Ihr, die mir das sagt, ich hoffe so sehr, ihr behaltet Recht.
(…)
Und zugleich wünsche ich uns, dass wir diese Zuversicht nicht nutzen, um uns zurückzulehnen oder gar abzuwenden,
sondern dass wir Energie aus ihr schöpfen, um uns weiter für unsere Demokratie und unsere Zukunft stark zu machen.
Ich hoffe also, wir alle schlagen weiter die Zeitungen auf, so schwer es uns teilweise auch fallen mag. Dass wir weiter betroffen und empört sind, dass wir nie abstumpfen, und immer wieder die Stimme finden, um auf Ungerechtigkeiten und auf Unwahrheiten hinzuweisen.
Auch im kleinen Basel können wir viel bewegen!
(…)
– auch wenn wir uns manchmal lieber um Solarpresskübel oder Sonnenschirme kümmern.
Lasst uns also den Blick über die Mauern des Innenhofs werfen –
und finden wir immer wieder von neuem die Lust daran, andere Perspektiven einzunehmen und unseren Horizont zu erweitern.
Und ich wünsche uns, dass wir in den kommenden vier Jahren auch den Blick nach innen nicht vergessen.
Ich bin sicher, jede und jeder hier trägt wohl die Erinnerung an einen Moment in sich, an dem einem klar wurde, dass man mit den eigenen Worten und Händen etwas verändern kann.
Bei mir war dieser Moment ein Samstagvormittag vor fast genau fünf Jahren – der 02.02.2019. auf dem Barfüsserplatz – die erste grosse Klimademo an einem Samstag, der erste Schritt von Klimastreiks hin zur zivilgesellschaftlichen Klimabewegung. Ich weiss noch ganz genau, wie meine Mitorganisatorinnen und ich es kaum fassen konnte, als immer mehr Menschen den Steinengraben und den Kohlenberg hinunter zu strömen schienen. Die Zeitungen schrieben von 4’000 Teilnehmenden, wir kletterten auf Mauern und zählten ganze 10 000. Wem ihr lieber glaubt, überlasse ich nun euch, aber ungeachtet davon – nie zuvor spürte ich so einen Zukunftswillen, so viel Drang nach Veränderung.
Vielleicht erinnert ihr euch gerade auch an euren Moment, an das Gefühl, das euch antrieb, etwas anzupacken, mitreden zu wollen, mitgestalten zu wollen. Vielleicht war es Empörung, vielleicht waren es Geistesblitze, vielleicht Mitgefühl oder Besorgnis – aber – so bin ich fest überzeugt, es muss immer auch Hoffnung mitgeschwungen haben, und die Überzeugung, etwas ändern zu können.
Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Moment, diesen inneren kleinen Anzündwürfel nicht vergessen, und dass wir ihn in Momenten der Müdigkeit und Ohnmacht wieder hervornehmen und zünden können.
Und ich wünsche uns: dass wir fair sind zueinander, und dass wir uns gegenseitig ermutigen – damit wir in den vier Jahren dieser Legislatur und weit darüber hinaus den langen Atem nicht verlieren, den wir brauchen, wenn wir unsere Welt als gerechteren und lebenswerten Ort zurücklassen möchten.
Ich hoffe, ihr nehmt meinen Blumenstrauss an Wünschen an uns und an die Welt mit in die kommenden vier Jahre – und wer weiss, vielleicht denken wir daran, wenn wir wieder einmal durch die Fenster des Grossratssaals in unseren kleinen Innenhof blicken. – Vielen Dank!