Es ist ein Merkmal der Schweizer Demokratie, dass politischen Entscheiden und Beschlüssen eine kürzere oder längere Reflexions- und Diskussionsphase vorangeht. Dabei ist es aus republikanischer und demokratischer Sicht wünschenswert, dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben, sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Diese Möglichkeit ist im Bereich von Wahlen und Abstimmungen an das Schweizer Bürger*innenrecht gebunden und durch das Wahlrechtsalter eingeschränkt.

Hat der Teil der Bevölkerung ohne Stimm- und Wahlrecht eine signifikante Grösse erreicht, haben wir aus republikanischer und demokratischer Sicht ein Problem, denn diese Menschen sind an der Ausgestaltung der res publica, der «gemeinsamen Sache», nicht beteiligt. Hier will die «Demokratie»-Initiative
ein Stück weit Abhilfe schaffen, indem sie ein rechtsstaatlich sauberes Einbürgerungsverfahren aufgrund von klaren Kriterien fordert. Damit soll  willkürlichen, nicht sachlich begründeten Entscheiden der Boden entzogen werden.

MEHRHEIT GEWINNEN

Die SVP wollte im Jahr 2008 mit ihrer Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» das Gegenteil in der Bundesverfassung verankern. Hätte die Initiative Erfolg gehabt, hätten Gemeinden bei Einbürgerungen völlig willkürlich entscheiden können. Der Entscheid wäre endgültig gewesen, ein Rekurs  unmöglich. Die SVP-Initiative scheiterte schliesslich an der Urne. Dies nicht zuletzt, weil es gelungen war, eine breite Koalition dagegen aufzubauen und  den SVP-Diskurs auf inhaltlicher Ebene argumentativ zu kontern.

Vorlagen für eine erleichterte Einbürgerung haben es erfahrungsgemäss bei Volksabstimmungen schwer. Dasselbe gilt für die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters sowie das Wahl- und Stimmrecht für Ausländer*innen. Sollen entsprechende Initiativen Erfolg haben, müssen sie inhaltlich und  organisatorisch breit abgestützt sein, wie dies etwa der Konzernverantwortungs-Initiative gelungen ist. In den anstehenden Auseinandersetzungen geht es auch um die Frage, was den Charakter der Schweizer Demokratie ausmacht und wie wir die Teilnahme am politischen Prozess und der res publica  ausweiten können und wollen. Das Demokratie-Dossier in diesem Grünwärts will dazu Denkanstösse liefern.

Artikel erschienen im Grünwärts Nr. 39, November 2024